SBB Trainees erzählen: Was die SBB in Rotterdam zu suchen hat.

SBB Trainees erzählen: Was die SBB in Rotterdam zu suchen hat.
Die SBB ist vieles: das Bahnunternehmen mit dem dichtesten Bahnnetz weltweit, ein Konzern verteilt über drei Sprachregionen und eine Arbeitgeberin mit fast unvergleichbar guten Bedingungen. Aber ein international tätiges Unternehmen? Nein, das ist die SBB nun wirklich nicht. Umso erstaunlicher war es für mich, dass ich auf Geschäftsreise in Rotterdam landete. 

Aber von vorne: In meiner dritten Förderstelle im Rahmen des SBB Traineeprogramms wollte ich Güterverkehrsluft schnuppern. Um zu verstehen, was eigentlich genau alles durch diese teuren NEAT-Röhren (Lötschberg-, Gotthard- und Ceneribasistunnel) transportiert wird, entschied ich mich für eine Förderstelle bei SBB Cargo International, einer gemeinsamen Tochterfirma von SBB und Hupac. Dieses Eisenbahnverkehrsunternehmen  verbindet die Häfen der Nordsee durch die Schweizer Alpen mit dem Norden Italiens. 

Meine Aufgabe bei SBB Cargo International ist es, das Ausmass der Auswirkungen von Baumassnahmen auf dem Schienennetz für das Unternehmen zu quantifizieren. Dafür ist es wichtig, den Schienengüterverkehr in seiner ganzen Funktionsweise, von Anfang bis Ende, zu verstehen. So kam es, dass ich mich auf Geschäftsreise für die SBB in den ICE Richtung Niederlanden setzte und dem Standortleiter von SBB Cargo Netherlands in Rotterdam einen Besuch abstattete. 

 

Ein Hafen, der aus mehreren Häfen besteht

Das Büro in Rotterdam ist mit dem öffentlichen Verkehr denkbar schlecht angeschlossen – wer hier arbeitet hat ein Auto, das steht schon mal fest. Nach acht Stunden Zugfahrt, 45 Minuten mit U-Bahn und Bus und 20 Minuten Fussweg ohne Trottoir komme ich endlich im Rotterdamer Büro an. Irritiert schaue ich mich um: An der Wand prangt ein grosses Bild, das eine nur allzu vertraute Bergkette zeigt und vor dem Gebäude steht eine Lokomotive von BLS Cargo. Wie klein die Welt doch ist.

Als erstes bekomme ich an einer enormen Wandkarte eine Einführung über den Hafen von Rotterdam. Das Gelände des Hafens erstreckt sich über mehr als 40 km vom Stadtrand hin zur Nordsee und besteht – genau genommen – aus mehreren Häfen, die alle ihre Besonderheiten aufweisen: Die einen sind nur für den Umschlag von Containern ausgerüstet, andere sind auf den Umschlag von Chemie- und Ölprodukten spezialisiert. Wieder andere wickeln trockenes Massengut wie Erz und Kohle ab und an einem Hafen läuft eine Fähre aus, welche Sattelauflieger und Personenwagen nach England verschifft.

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Unfassbare Mengen an Containern und Öl 

Nach dem Mittagessen steigen wir ins Auto, um den Hafen zu erkunden. Überall sehe ich tausende und abertausende Container: auf Schiffen, auf Lastwagen, an Kränen oder gestapelt auf Umschlagsplätzen. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ein Kran den richtigen Container vom Schiff nimmt und dann direkt auf den richtigen Eisenbahnwagen oder Lastwagen platziert – eine ziemlich naive Vorstellung, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Denn die Container eines Schiffs müssen auf verschiedenste Züge und Lastwagen umverteilt werden und umgekehrt. Ausserdem sind die Slots für alle Verkehrsträger eng getaktet und es steht schliesslich nicht immer genau der richtige Zug bereit, wenn das Schiff ankommt. Daher gibt es sogenannte Stacks als Zwischenschritte. Grosse Kräne entladen die Container auf kleine (teilweise selbstfahrende) Fahrzeuge, kleinere Kräne ordnen die Container von diesen dann in den Stack ein und picken später den richtigen wieder heraus, sobald der entsprechende Zug oder LKW bereitsteht. Idealerweise verbindet man ausserdem mit jeder Abladung gleich wieder eine Beladung, um sogenannte «Moves» zu sparen. Welche Ordnung das Terminal für die Stacks vorsieht, damit nicht plötzlich der gefragte Container unter zehn anderen Containern liegt, scheint eine Wissenschaft für sich zu sein, die auch jedes Terminal anders handhabt. 

Auf der Weiterfahrt durch den Hafen überwältigt mich jedoch etwas anderes: die schiere Menge an Infrastruktur, die zum Umschlag und zur Verarbeitung von Öl dient. Wohin das Auge reicht hat es Tanks, die mit irgendeiner Form von Öl befüllt sind. Das Rohöl wird meistens durch Pipelines angeliefert, wird dann in einer Raffinerie zu Kerosin, Diesel, Benzin, Heizöl, etc. weiterverarbeitet und anschliessend in einem Tank zwischengelagert bevor es schlussendlich den Hafen per Schiff, Bahn oder abermals per Pipeline verlässt. Ich frage mich plötzlich: Wieso wird in der Diskussion um die Verlagerung von Strasse auf Schiene nicht vermehrt über die Art von Produkt gesprochen? Was nützt dem Klima ein Güterzug, der mit Öl vollgetankt ist? Zwischen all diesen hunderten Quadratmetern von Ölverarbeitung entdecke ich ein paar Kaninchen, die unbeschwert zwischen den Öltanks umherhoppeln. 

Am äussersten Punkt vom Hafen angekommen sehen wir endlich die Nordsee vor uns. Es windet – wie immer an der Nordsee – und hier stehen daher auch die meisten Windräder, die (neben zwei gigantischen Kohlekraftwerken) zur Energieerzeugung im Hafengebiet genutzt werden. Wir essen ein paar Pommes an einer abgelegenen Frittenbude und unterhalten uns über die verschiedenen Schiffsarten und deren Abwicklung im Hafen. Ich erfahre beispielsweise, dass beim Eintreffen jedes Schiffs sogenannte Lotsen auf das Schiff gebracht werden, welche die Steuerung in den Hafen übernehmen. Oder dass auf den meisten Flussschiffen ein Auto (oder manchmal auch ein Schnellboot) steht, da jene meist von Familien bewohnt werden. 

 

Schnell mal eine Lok aus der Werkstatt holen 

Auf dem Rückweg erfahren wir von der lokalen Leitstelle, dass eine Lokomotive aus der Werkstatt zur Abholung bereit ist. Mein Begleiter, der die Lok holen soll, fährt uns also 40km ins Büro, bestellt ein Taxi und wir fahren alles wieder zurück, denn die Werkstatt liegt wiederum am äussersten Hafenrand. Unterwegs lerne ich, dass es in den Niederlanden keine Vorsignale gibt und dass es viel mehr ETCS Balisen (diese gelben Platten auf den Gleisen zur Zugsicherung) zwischen den Signalen hat als in der Schweiz. Zudem erfahre ich, dass der Grossteil des Güterverkehrs auf der Betuwenroute nach Deutschland fährt und letztere mit Wechselstrom ausgerüstet ist (während die Niederlanden sonst mit 1.5 kV Gleichstrom ausgerüstet sind, wodurch der maximale Strom und somit auch die Leistung begrenzt ist). Unterwegs müssen wir plötzlich anhalten: Eine Brücke wird angehoben, um ein Schiff durchzulassen. Während wir also in der Lok sitzen und warten bis die Brücke oben ist, das Schiff überhaupt erst in Sichtweite ist und dann gemächlich durchtuckert bevor die Brücke anschliessend wieder abgesenkt wird, kommt mir die Wartezeit am Bahnübergang bei mir zu Hause um die Ecke plötzlich sehr kurz vor. Schnell mal eben eine Lok aus der Werkstatt holen funktioniert auf diesem grossen Gelände halt nicht.

 

Die Welt eines Rangierlokführers am Hafen von Rotterdam

Am darauffolgenden Tag darf ich einen Rangierlokführer von Rail Feeding Rotterdam (RRF) begleiten, einem örtlichen Dienstleiter von SBB Cargo International. Mit einer sechsachsigen Diesellock tuckern wir im Hafen umher und der Rangierlokführer erzählt mir worauf der Wagenmeister (in der Schweiz «Technischer Kontrolleur Cargo TKC») achten muss, dass ein Zug manchmal aus Wagengruppen besteht, die an verschiedenen Terminals beladen werden und dass die Möwen im Frühling ziemlich aggressiv gegen Rangiermitarbeitende vorgehen, um ihre Jungen zu verteidigen. Ich erzähle ihm vom berüchtigten Gotthardtunnel, den er vom Hörensagen kennt, dass dieser erst 2016 eröffnet wurde und was eigentlich das mysteriöse «CFF FFS» nach dem «SBB» auf manchen Wagenanschriften zu bedeuten hat. So können wir beide enorm viel voneinander lernen; das allein ist schon ein unglaublich bereicherndes Erlebnis.  

Nach diesen zwei Tagen habe ich zwar mehr Fragen als Antworten, aber ich meine doch den Schienengüterverkehr am Hafen besser verstanden zu haben. Ich weiss jetzt, warum es auf den Schiffen im Rhein bei Basel Autos hat, dass es Stacks nicht nur in der Informatik gibt und dass es im Maschinenraum einer Diesellok sehr heiss und laut ist. Für all diese und mehr Erfahrungen bin ich unglaublich dankbar und hoffe, dass ich meine weitere Arbeit mit diesem Wissen voller Elan anpacken kann.

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Annik Jeiziner, 26, Elektroingenieurin, Walliserin, liebt Singen, Schokolade, philosophische Diskussionen, Hunde, das Matterhorn und das Gesamtsystem Eisenbahn. 

1.     Station beim strategischen Anlagemanagement Fahrweg (I-NAT-FW)
2.     Station Störungsanalyse bei Flottentechnik (PP-UHR-RIE-FLT)
3.     Station bei SBB Cargo International
4.     Station beim Kompetenzzentrum Energiespeicherlösungen (I-NAT-TO-ESL) 
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